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Auswandererbrief

Von der Familie Friedrich Konrad, Nieder – kumb, Alemanha

São Leopoldo, 24. Juli 1859

Lieber Vater, Schwiegereltern, Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen!

Da ich, als ich den letzten Brief schrieb, nicht viel Zeit hatte, so will ich Euch denn jetzt nähere Auskunft erteilen. Wir waren ja wie Ihr wisst, bis jetzt in der Pikade (Bigather) Rodenzia, aber nicht mehr bei dem Konrad aus Altweidelbach, sonder bei einem Simon aus Hermeskeil, welcher 30 Jahre hier ist. Weiter in den Urwald wollte ich nicht, denn auf einem solchen frischen und ganz unbewohnten Felde, da sieht es noch dornig aus. Da ist nichts als Wald, keine Schule und keine Kirche. Auch ist das Land noch ziemlich schlecht. Da bin ich dann vier Wochen vor Pfingsten nach St.(Sankt) Leopoldo. Da habe ich angefangen zu arbeiten. Bei Herrn Klee gegessen und geschlafen, ohne ihn zu bezahlen. Am Tage vor Pfingsten sind wir wieder zurück in den Wald gereist, haben dort unseren Mais (Milgen) eingetan und verkauft und zwar 23 Säcke, den Sack zu 1 Millreis und 10 Vinténs (Wendin). Wir hatten uns auch ein Schwein gekauft zu 10 Millreis und fett gemacht von ungefähr 175 Pfund (87,5 gr).

Am 22 Juni zogen wir nach St Leopoldo, daselbst wohnen wir in Miete, wofür wir monatlich 8 Millreis zu entrichten haben. Einen Rock zu machen kostet 7 bis 8 Millreis, eine Hose 1 Millreis und 30 Vinténs(Wendin) und eine Weste 2 Millreis. Wir haben uns ein Pferd gekauft von Herrn Praß aus Altweidelbach zu 24 Millreis.

Am 16. Juli kam Engelmann von Bergenhausen von Argenthal hierher. Sie hatten eine gute Reise, können sich auch noch beide der Gesundheit erfreuen. Engelmann vom Bergenhausen hat uns vielmal gegrüßt von Euch, was uns sehr erfreute, nur dass schmerzt uns sehr, dass Ihr noch immer unwohl seid. Das ist vielleicht durch mich, weil ich Euch hintergangen habe.

Lieber Vater! Es war Unrecht von mir, ich hätte es Euch gerade heraus sagen sollen. Nun lasst alles Dahingeschundene denn sein und denket: Gott hat es so gewollt. Wir haben zusammen ein Herz und eine Seele, und das ist besser denn vieles Geld und eine Frau, welche man nicht von ganzem Herzen lieb hat. Lieber Vater, es hat uns sehr erfreut, als wir in Eurem Briefe lasen, dass Ihr unseren Wunsch erfüllt habt.

Denn ohne das hätte ich nicht froh und glücklich leben können, es hat mich Tag und Nacht geschmerzt. Indesse müsst Ihr aber nicht denken, dass die irdischen Verhältnisse es forderten uns zu heiraten. Nein das war nicht der Fall, wie wohl es nach unserer Abreise so geheißen hat. Wir können Gott zum Zeugen anrufen, dass es geschehen ist aus reiner Liebe gegeneinander.

Ihr habt aber garnichts von unserem Christian geschrieben. Es hat mich gefreut, dass mein Pätchen noch an mich denkt. Kauft ihm auf meine Rechnung einen neuen Anzug. Meiner Schwester Wilhelmine wünsche ich ich, dass sie mit ihrem Mann recht einig und glücklich lebe. Es ist mir leid, dass meinem Schwager in Bubach seine Kur wieder misslungen ist.

Nun liebe Schwiegereltern! Aus Eurem Briefe haben wir ersehen, dass Ihr noch alle gesund seid. Darauf war Lottchen auch wieder ganz zufrieden, denn sie sagte immer: Mein Vater ist tot! Welches nun Gott sei Dank nicht war. Ihr schreibt uns, Ihr hättet den Inhalt unseres Briefes genügsam verstanden, wir möchten aber wissen, wie Ihr ihn verstanden habt, auch das soviel über uns gesprochen (pág. 298) worden sei. Das macht uns aber keine Sorgen, denn wir brauchen uns vor niemandem zu schämen und dann können die Leute sprechen was sie wollen, Gott weiß es am besten.

Liebe Schwägerin Settchen! Sie hätte aber uns vielmals schreiben können, von unseren Kameraden und wie es ihnen geht. Sie schreibt, sie wollten zu uns kommen, welches wir aber noch nicht glauben können.

Lieber Bruder Heinrich! Eine bitte habe ich an Dich. Wenn Du Geld und gute Gelegenheit hast, so schicke mir ein Pfund (6) oder soviel Du kannst. Gute Pariser Nähseide, denn diese ist sehr teuer hier oder lasse sie durch Herrn Rech besorgen.

Von Konrad Solzbacher und seiner Frau habe ich bis jetzt noch nichts gehört und von dem allen, was Ihr sonst wissen wollt, kann ich Euch nichts schreiben, als das sie soviel mir bekannt ist, gesund sind, was ich auch von uns wie von den Kindern des Herrn sagen kann.

Nun noch, wie es hier in dem Urwald ist. Es ist in dem selben ganz anders als die meisten Leute denken. Ich habe mich zwar nicht viel geirrt, denn als wir durch die Eifel fuhren, sagte ich: “so sind auch die Häuser in Brasilien!”.

Hier hat man lauter kleine Häuschen, aber in alten Pikaden (Bigaden) auch Fenster und Fußboden. Alle Leute, welche erst einige Jahre hier sind, haben weder Fenster noch Fußboden. Jeder wohnt allein auf seinem Land, wo es ihm am besten passt. Das ist nun sehr gut, denn da kann man unbedingt machen, was man will, ohne von einem Nachbarn gestört zu werden.

Soll eine neue Pikade (Bigartz) angelegt werden, so geht es hierbei also zu: Es ist hier alles Wald. Allein er ist nicht wie draußen in Deutschland, denn hier sind Bäume und Hecken durcheinander. An den Bäumen sind auch noch Stangen oder Winden hinaufgewachsen, die oben mit den Bäumen zusammenhängen. Hat man unten einen Baum abgehauen, dann fällt er nicht. Darauf haut man noch 3 bis 4 Bäume, aber nicht ganz ab. Hierauf haut man einen Baum ab der oben frei ist und zwar so, dass er auf die übrigen fällt und diese alle mit auf den Boden nimmt. Bevor aber dieses geschieht, muss man das untere Buschwerk umhauen, welches auch wild durcheinander hängt und zwar mit einer Hebe (Heebe)(8), die mit einem langen Stil versehen ist

Ehe man anfängt zu hauen, macht man sich ein Hüttchen, wie bei euch die Vogelstelle solche haben.

 

Emílio Konradt, 83 Jahre, Nachkomme der Familie Konrad – Fortaleza, (jetzt Lajeadinho) Igrejinha.

Das Essen muss man aus einer anderen Schneise mitnehmen. Man kocht alle Tage schwarze Bohnen, Fleisch und von dem Wurzelmehl(10), aber kein Brot. Morgens kocht man Kaffee, abends Tee und das selbe Mehl welches man aber auch gut an jedem Tage essen kann. Hat man 3 bis 4 Wochen gehauen, so lässt man es noch drei oder vier Wochen liegen und dann bei recht heißem Wetter wird es am Mittage angestochen. Das gibt ein fürchterliches Feuer. Ist es erloschen, so nimmt man die Hacke, macht Löcher, in welche man Mais (Milgen) pflanzt. Hernach braucht man nicht mehr danach zu sehe, bis sie zeitig sind.

Dann haut man noch ein Stück zu Futter und Kartoffeln, dann muss aber das Holz nach dem Brennen zusammengelegt und die oberen Wurzeln abgemacht werden.

 

Der Anfang im Urwald

Eine Wohnhütte wird auf folgende Art erbaut, da werden 6 Pfosten in den Boden gesetzt mit einer Gabel oben, worüber man Stangen legt. Hin und wieder setzt man noch einen Pfosten, lässt auch  (pág. 300) zwei Löcher zu Fenstern und eines zu einer Tür, macht eine solche mit Brettern, vorn drei Fuß Länge und somit ist der erste Bau fertig, dann macht man sich auch Möbel; zur Bettstelle schlägt man 4 Pfähle ein und legt Stangen darüber, als Tisch dient eine Kiste, als Stuhl ein Brett mit drei Stempeln, dann baut man auf dieselbe Weise eine Küche und einen Stall, dann hat man so lange eine Wohnung, bis sie umfällt und hat nichts als ein Pferd, auch eine Ziege und ein Schwein.

Zum Bohnenpflanzen haut man wieder Wald und legt auch das Holz ein wenig zusammen. Die Bohnen werden ziemlich nahe gepflanzt. So geht es Jahr ein, bis die Plantage (Blandasche) (11) größer wird, dann hält man aber auch mehr Vieh von allen Sorten, Hühner und Schweine am mesten.

Sind nun so acht bis zehn Jahre herum, dann hat man eine gute Hütte gezimmert mit Boden und Fensterladen, denn in das dritte Gebäude kommen erst Fenster und was dazu gehört, dann hat man aber auch schon schöne Obstbäume, denn nach 5 oder 6 Jahren tragen diese schon.

Apfelsinen gibt es in Maße hier. Diese Bäume tragen zwei mal im Jahre. Die Früchte fallen nicht ab, sondern hängen von Jahr zu Jahr am Baum. Es gibt hier auch deutsches Obst.

Wenn diese Jahre herum sind, dann ist alles überstanden. Im zweiten oder dritten Jahre haben die Leute schon zum Verkaufen und je mehr Kinder, je besser der Fortgang. Nach zehn oder elf Jahren haben sie es so gut wie die alten Kolonisten, dann bleibt das Erstgehauene liegen zur Weide, auf welches das Vieh so wohl im Winter als Sommer geht.

Ich habe Euch nun den Anfang so wie den Fortgang der Kolonisten geschildert und da könnt Ihr denken wie es den Kolonisten draußen zu Mute ist. Daheim schöne Häuser und was dazu gehört, hier nichts als ein stiller Wald. Da heißt es den frisch ans Werk und dabei wird das Wort erfüllt: “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Oder auf immer ein armer Mann sein.”

Allein nach mehreren Jahren arbeiten die Kolonisten bloß soviel sie Lust dazu haben. Wenn sie sich dann eine Plantage (Blandasche) gehauen und ein Haus gabaut haben, so ist die Arbeit leicht. Dann brauchen sie nicht Tag und Nacht arbeiten. Im Sommer schlafen sie jeden Mittag bis zwei oder drei Uhr. Wenn es Nacht ist haben sie Feierabend es mag viel oder wenig getan sein.

Jetzt was wie und wann gepflanzt wird: Mais (Milgen) pflanzt man von August bis Januar. Wenn das Spätjahr kommt, so stehen in den Plantagen nichts als Mais, denn wenn die Bohnen beinahe reif sind, dann werden schon Maise hinein gepflanzt wie bei Euch das Korn, der Hafer, der Flachs, die Erbsen und die Kartoffeln, so werden bei uns Maise gepflanzt. Sie stehne in einer Entfernung von drei Schritten. Dann macht man ein Loch mit der Hacke nicht tief. Die Kinder legen 4 Körner in ein Loch, welches sie darauf mit dem Fuß zuscharren.

Ist das Land noch ganz frisch, so hat man weiter nichts zu tun als den Stockausschlag abzumachen. Ist es etwas älter und erzeugt Unkraut, so hackt man dieses ober über los. Sind die Maise beinahe reif, so bricht man den Stock über dem Kolben ab zum Füttern. Diese Kolben werden 10 bis 11 Fuß hoch. Jeder Kern gibt einen Stamm und dieser einen bis zwei Kolben. An einem Kolben befinden sich 800 bis 1.000 Kerne. Sind die Maise zeitig, dann werden sie unter dem Kolben umgebückt und so hängen sie, bis man Zeit zum Brechen hat. Hier bringt man sie nach Hause und macht jeden Tag ab, so viel man braucht. Dazu nimmt man eine Maschine, wer aber keine hat, muss sie mit den Händen abreißen. Es stehen auch Kürbisse (Bobern) (12) und Maniok (Manjack) (13) unter den Maisen (Milgen). Die Kürbisse pflanzt man mit dem Mais und zwar sechs Schritte voneinander. Diese ragen über das ganze Land, liegen manchmal dicht zusammen und werden so dick, dass man an dreien zu tragen hat. Sie sind gut zum Kochen und zum Füttern und schmecken wie Gelbrüben. Der Maniok dient zum Kochen, zum Füttern und als Mehl. Seine Wurzeln sind die von denen Vetter Rech Euch sagte: “Ich wünschte Ihr hättet einmal solche!” Ein und einen halben Fuß voneinander pflanzt man im August und September die Bohnen. Sie werden behandelt wie die Maise zur Zeit ihrer Reife werden sie des Morgens frühe gerupft und Mittags gedroschen oder ausgeritten. Man hat keine Scheune. Es wird ein Tuch auf den Boden unter den freien Himmel gelegt. Zum Ausdreschen macht man sich eine Tenne (14), in die Plantage trägt oder fährt die Bohnen darauf.

Man kann nicht überall fahren, es ist hier zu gebirgig, dazu muss es in der großen Hitze geschehen. Einer Aussaat von einem Quart (15) Bohnen bringt 8 bis 10 Säcke in der Ernte. Sie (pág. 302) werden gekocht und schmecken sehr gut.

Kartoffeln gibt es auch hier, das Vieh frisst aber keine. Die erste Pflanzung geschieht im September, die zweite im Februar. Sie werden ziemlich nahe gepflanzt, aber nicht gehäuft. Auch geraten sie ziemlich gut, faulen aber auch. Die dicken Bohnen werden kurz vor der Ankunft des Winters im Monat Mai gepflanzt. Genau kann ich es nicht sagen, aber so viel ich weiß das Korn, der Hafer, der Weizen und die Gerste im Winter gesät. Gerste welche schwarz ist, gibt es hier.

Ein Quart ist hier soviel, wie bei Euch ein halbes Simmer (16) und acht Quart sind ein Sack. Es gibt auch deutsches Gemüse hier. Den Kappes (17) pflanzt man hier nicht wie bei euch, man schneidet ihn ab, wonach er wieder ausschlägt. Will man ein frisches St:ück bepflanzen, so schneidet man Zwacken (18) davon ab und steckt sie in den Boden.

Das Feld wird hier weder gepflügt noch gedüngt. Nimmt das Unkraut überhand, so lässt man das Feld 6 bis 7 Jahre liegen, worauf es nach 2 Jahren schon mit Hecken bewachsen ist, diese haut man ab, bereitet das Feld, welches danach wieder schöne Früchte trägt.

Mit dem Füttern des Viehes haben die Leute wenig Umstände. Die Schweine bekommen morgens und abends ein wenig Futter damit sie sich an das Haus gewöhnen. Selbst wenn sie Junge haben bekommen sie nichts, wodurch aber auch viele umkommen. Gemästet wird ein Schwein in dem es morgens und abends Mais (Milgen), Kürbisse (Bobern) und kaltes Wasser bekommt.

Die Kühe bekommen auch zu diesen Zeiten dieses Futter und werden dann gemolken. Sie geben aber nicht so viel Milch wie in Deutschland. So lange sie gemolken werden, saufen auch die Kälber, geschieht beides nicht mehr, so werden die Kühe hinausgejagt und müssen sich ernähren.

Die Pferde bekommen bloß im Winter Mais (Milgen) und Kürbisse (Bobern), wenn sie nach Hause kommen. Allein im Sommer, wenn sie auch den ganzen Tag gearbeitet haben bekommen sie doch nichts.

Ihr irrt, wenn Ihr denkt, man hätte bei uns die Pferde zum Spazierenreiten. Man hat sie ganz nötig, denn der Weg ist sehr schlecht. Ist er noch neu, so stehen die Stöcke noch da. Ist er älter, dann ist er löcherig und schmutzig, da kann man ohne Pferd nicht durchkommen. Man trifft Flüsse an, aber keine Brücken darüber; so wie auch steinige Wege.

Allein unsere Pferde sind zu diesen Reisen trefflich geeignet, sie gehen durch Flüsse, über schmale Brücken, durch Hecken, über umgehauene Bäume und über Pfade, die so steil sind wie das Pfädchen über den Simmerschen Hüllenberg. Auch braucht man sie zum Transportieren. Allein die Frucht wird meistens durch Maulesel in die Stadt gebracht.Der schlechten Wege halber sind die Pferde nicht beschlagen Man kann auch nicht viele Besuche abstatten, wenn man gerade kein Geschäft dort hat. Hat man kein Pferd, so muss man barfuß gehen was ich auch schon getan habe. Denn mit Stiefeln oder Schuhen kann man hier nicht durchkommen.

Ist der Boden der Plantage (Blandasche) voll Holz, so geht man dara