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Persönlichkeiten von Santa Maria do Mundo Novo

Pastor Roos und Christoph Schäfer

 

Karl Friedrich Roos

 

Christoph Schäfer

Der Anfang der Besiedlung von Santa Maria do Mundo Novo war von einer Zeit großer Schwierigkeiten geprägt. Die Einwanderer aus Deutschland, von ihren Angehörigen weit entfernt, hatten ihre Not mit der Sprache vor Ort, mit dem Urwald und mit den schlechten Strassenverbindungen.

Dazu kam die ständige Angst vor Überfällen von Indianern oder wilden Tieren. Weit weg von jeder ärztlichen Hilfe in ihren Krankheitssorgen und gänzlich isoliert von jeglicher menschlichen Kultur suchten sie in ihrem Glauben die Kraft für den Alltag und für den Kampf gegen alle und gegen alles. In ihrem Schmerz wandten sie sich an Gott mit der Bitte um Heilung. So kam den Kirchengemeinden in den jungen deutschen Siedlungen eine grundlegende Bedeutung zu, denn in ihnen entstand von Anfang an die Gemeinschaft, die die Einwanderer ein gemeinsames Ziel erkennen liess, was zur Entwicklung blühender Städte führte, die sich noch bis heute im südlichsten Bundesstaat Brasiliens auszeichnen.

Hat somit die Religion einerseits zur Einigung der Bevölkerung beigetragen, so machte andererseits jedoch die Vielfalt des Denkens und Verstehens der religiösen Fragen die Religion auch zum Anlass von Uneinigkeiten. Als Pastor Karl Friedrich Roos am 16. Dezember 1871 eintraf, um in dem dortigen Gebiet Pastor zu sein, fand er die Kirchengemeinde von Santa Maria do Mundo Novo in zwei gänzlich zerstrittenen Parteien vor. Auf der einen Seite stand Christoph Schäfer, ein Schneider, der in Alta Santa Maria wohnte, der aber auch das Zeug zum Lehrer und Verfasser von Büchern hatte. Ihn hatten die Kolonisten selbst für die kirchlichen Amtshandlungen gewählt. Seine oft drastischen Worte sorgten jedoch oft für Uneinigkeiten, was letztendlich zur Spaltung der Gemeinde geführt hatte. Die Kirchenleitung machte sich Sorgen und hatte zunächst Pastor Robert Kröhne nach Santa Maria do Mundo Novo gesandt. Dort wirkte dieser von 1868 bis 1871, aber er erreichte keine Einigung. Pastor Roos traf also 1871 eine Gemeinde an, die von Unruhe, Streit und Misstrauen zerrissen war. Zunächst fand er Aufnahme bei Ferdinand Volkart in Alta Santa Maria, wo er blieb, bis die Gemeinde ihn als Pastor akzeptierte. Dann konnte er ins Pfarrhaus nach Alta Santa Maria umziehen, das in der heutigen Rua da Independência neben der Hausnummer 2070 in der Nähe der Kichler-Mühle stand. Da Pastor Roos anfangs  (pág. 326) noch nicht einmal das Kirchengebäude benutzen durfte, das bereits in Média Santa Maria erbaut worden war, hielt er bis 1872 die Gottesdienste im Haus von Philipp Dreher. Dann aber fand er zunehmend Anerkennung in der Gemeinde, so dass ihm das Kirchengebäude alle drei Wochen für seine Dienste geöffnet wurde.

Damit konnte die Wiedervereinigung der zerstrittenen Gemeinde beginnen. Pastor Roos strahlte eine persönliche Sympathie aus, die eine starke Glaubensbewegung in der Kolonie auslöste. Sein Tätigkeitsbereich erstreckte sich von Alta, über Média und Baixa Santa Maria bis hin nach Taquara. Er gewann die Gemeindeglieder auch durch den Einsatz seiner medizinischen Kenntnisse. In einem Brief vom 15.Juni 1872 schrieb er: “Ich bin nicht nur Pastor, sondern auch Arzt (der nächste ausgebildete Arzt ist 10 Reisestunden entfernt), dazu noch Schulinspektor, Geldsammler für den Bau der neuen Kirche (wobei er sich auf den Bau der Kirche in Taquara bezieht, deren Grundstein er am 30. Juni 1872 gelegt hatte, denn damals war die Kirche in Santa Maria do Mundo Novo, dem heutigen Igrejinha, die einzige Kirche der Gegend) und muss zusätzlich viel Zeit im Sattel verbringen”. Mit den Bemühungen um die Wiedervereinigung verschwanden die Zwistigkeiten in der Gemeinde und zu den Gottesdiensten füllte sich zusehends die Kirche, so dass am Pfingstgottesdienst 1872 über 500 Leute zum Abendmahl kamen. Ausserdem traten an dem Tag vier Katholiken in die evangelische Kirche ein.

Das Grab des Pfarrers Roos bewahrt die letzte Ehrung durch seine Getreuen: “Hier ruht in Frieden Karl Friedrich Roos aus Herborn (Nassau), Pfarrer in Mundo Novo; geboren am 26. Juni 1843 und gestorben am 18. März 1873. Selig sind die Todten, die im Herrn Sterben. Apokalypse 13 – 14. Aus Dankbarkeit gewidmet von der gemeinde.”

 Aber der Friedensstifter in der Gemeinde Santa Maria do Mundo Novo sollte nicht Lange Zeit hier wirken. Am 15. Februar 1873 war seine Braut, Johanne Kreuter, aus Deutschland angekommen, mit der er am 25. Februar 1873 in São Leopoldo heiratete. Aber nur drei Wochen später starb Pastor Friedrich Roos am 18. März 1873 im Alter von dreissig Jahren an einer Blutvergiftung. Mit einem grossen Begräbnis ehrte die Gemeinde den, der in nur einem Jahr und drei Monaten zum Wiedervereiner der Kirchengemeinde geworden war. Auf seine Bitte hin wurde er auf dem Friedhof von Alta Santa Maria, dem heutigen Tres Coroas, unter großer Beteiligung der (pág. 328) Bevölkerung beigesetzt. Dort hat ihm die Gemeinde ein Grabmal errichtet. Seine junge Ehefrau kehrte bald darauf in ihre Heimat zurück und man hat in der Gegend von Santa Maria nichts mehr von ihr gehört.

Alte Evangelische Kirche von Três Coroas. Im Hintergrund der Friedhof, auf dem Pastor Roos beerdigt ist

Noch heute, nachdem mehr als ein Jahrhundert vergangen ist, steht Pastor Roos hoch in dankbaren Ehren. Im Jahr 1980 hat der heute in São Leopoldo ansässige Dr. Martin N.Dreher, als er Pastor in Taquara war, die Geschichte des Pastor Roos romanartig aufgeschrieben und sie im Verlag “Editora Sinodal” veröffentlicht. Diese Geschichte geben wir im Folgenden wieder, denn sie gibt Aufschluss über das Leben dieses Pfarrers, der unter härtesten Arbeitsbedingungen sich nicht von den Grenzen, die ihm auferlegt waren, zurückhalten liess, die Wege zu gehen, die der Herr ihm vorgab. Auch wenn diese Abschnitte sich durch einen äusserst religiösen Inhalt auszeichnen, bringen wir sie ungekürzt, denn es war schliesslich diese Frömmigkeit, die eine ganze Gemeinde sich um gemeinsame Ideale sammeln liess, was zum Aufbau der damaligen Kolonie führte, die sich inzwischen in grosse Städte entwickelt hat, in denen wir heute mit unseren Familien unser Zuhause gefunden haben.

Ehre dem Pastor Karl Friedrich Roos.

“Die Wege des Herrn”

In jener Nacht schien selbst der Mond zu weinen. Er verbarg sich von Zeit zu Zeit hinter den Wolken wie hinter einem Vorhang. Unten ruderten rauhe Bauernhände kräftig, aber in tiefem Schweigen. Ab und zu unterbrach ein leiser Seufzer die Stille, in der nur das Plätschern der Ruder und des Wassers zu vernehmen war.

Keiner von beiden war zum Erzählen von Geschichten aufgelegt, wie sie es unter anderen Umständen bestimmt getan hätten. Nur ab und zu kamen ihnen über die zusammengepressten Lippen ein paar schmerzliche Worte, die sich im Dunkel und Schweigen des Flusses verloren.

- ‘Wie schade! Es ist, als wäre er erst gestern zu uns gekommen. Und heute ist er tot.’

- ‘Ja, es ist jammerschade. Ich kann es noch gar nicht begreifen. Es wird die Leute hart treffen. Vielleicht haben sie es oben in der Kolonie schon erfahren.’

Sanft gleitet der Kahn flussaufwärts. Sie würden die ganze Nacht hindurch zu rudern haben. Von São Leopoldo aus galt es, ein grosses Stück den Rio dos Sinos flussaufwärts zu überwinden, um an den Rio Santa Maria zu kommen. Erst nach vielen Stunden würden sie endlich in Média Santa Maria ankommen, wo der Pastor in der Kirche aufgebahrt würde, um von dort zur Beisetzung auf den Friedhof von Alta Santa Maria gebracht zu werden. So hatte er es sich gewünscht.

Der Trauerzug würde bestimmt endlos sein. Die gesamte Kolonie würde still stehen. Sie würden alle kommen, um sich von dem zu verabschieden, der zwar nur kurze Zeit ihr Pastor war, dem es aber trotzdem gelungen war, ihre Herzen zu erobern.

Im Schweisse deines Angesichts…

Es gab in jenem Jahr 1873 bereits viele Lichtungen im Urwald. Viel Wald war gerodet worden und es gab unzählige Felder mit Mais, Kartoffeln, Bohnen, Maniok und anderen Nutzpflanzen auf beiden Seiten entlang der Straßen. Wer dort durchkam, konnte überall reiche und vielversprechende Ernten ahnen. Alles sah jetzt leichter aus. Wohlstand meldete sich an. Man musste nur einen Blick in die Schweineställe werfen und die Pracht dort sehen.

Wie schwer war es dagegen damals gewesen, als 1846 die Pioniere angekommen waren. Einige waren von der Kolonie São Leopoldo gekommen. Es waren Kinder jener Bauern und Handwerker, die in den Jahren 1824 und 1825 aus dem fernen Europa eingewandert waren. Zu ihnen stiessen neue Siedler, die erst jetzt aus Europa einwanderten. Nach der Farrapos-Revolution, die während der zehn Jahre, die sie andauerte, so viele Leben gekostet hatte, waren sie die ersten, die den Mut wieder fanden, in die Provinz São Pedro zu kommen. Damals, im Jahr 1846, hatte José Tristão Monteiro beschlossen, seine Ländereien aufzuteilen und in Kolonien zu verkaufen. Die ersten Parzellen kosteten 300 Milréis. Jetzt, 1873, kosteten sie bereits 4000 Milréis. Nachdem Monteiro den Anfang gemacht hatte, teilten weitere ihre Farmen in Parzellen, so dass schliesslich die Gesamtkolonie Santa Maria do Mundo Novo entstand.

Die ersten Hütten bestanden aus einem mit Lehm beworfenen Gerüst aus Buschwerk. Das Dach wurde mit Palmblättern gedeckt, die es reichlich und überall gab. Kaum war so ihr Haus fertig, nahmen die Siedler auch schon die Axt und begannen mit der Rodung. Vor allem wurden Lebensmittel gebraucht. Mit dem Kleinkind im Körbchen gingen alle an die Arbeit, Männer, Frauen (pág. 330) und Kinder, um dem Land die Frucht abzutrotzen, die Gott verheissen hatte. Und diese Frucht wurde ihnen nicht leicht geschenkt.

Eines Tages, es war an einem Sonntag, nahm der Grossvater die Bibel und las daraus die Worte: ‘Im Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, von der du genommen bist.’

Was Schweiss bedeutete, das wussten sie damals. Es rann so viel Schweiss, dass der Schwiegersohn Schmidt entrüstet klagte:

- ‘Warum müssen wir derart schwitzen? Warum straft Gott uns so hart? Warum…?’

Und er brachte all die Fälle, die in den letzten Tagen in der nächsten Umgebung sich ereignet hatten:

- ‘Der Fenner wurde vom Baum erschlagen und ließ die Frau mit den Kindern alleine zurück. Das hübsche kleine Mädchen, das Gott den Kirsch vor drei Jahren geschenkt hat, wurde von einer Schlange gebissen und nun sind die Eltern allein in ihrer Trauer.’

Der Grossvater antwortete nicht gleich. Er hatte keine fertigen Rezepte. Wie alle musste auch er nachdenken. Dann ergriff er wieder das Wort:

- ‘Gott schenkt uns alles und wir antworten immer wieder mit Ungehorsam. Wenn er ein richtender Gott wäre, könnte niemand vor ihm bestehen. Aber noch lässt er uns schwitzen. Ich glaube, der Schweiss ist ein Zeichen der Liebe Gottes.’

So sah die Sonntagsandacht in Grossvaters Haus aus. Der Schwiegersohn war nicht zufrieden damit. Einige gingen ihren Gedanken nach. Andere gingen froh nach Hause - Gott hatte mit ihnen geredet. Bei wieder anderen waren das Leiden und der Schmerz grösser.

Parteien in der Gemeinde

Mit der Zeit bildeten sich Gemeinden. Immer hing das mit einer Taufe zusammen. Da war bei einem Kolonisten ein Kind geboren. Er hatte Pastor Haesbert aus Alt-Hamburg eingeladen, die Taufe in seiner Wohnung zu halten. Haesbert war gekommen und hatte sich nach dem Gottesdienst mit denen, die gekommen waren, versammelt. Er hatte ihnen Mut gemacht und daraufhin hatten sie beschlossen, eine evangelische Gemeinde zu gründen. So wie in diesem Fall entstanden auch andere Gemeinden: Alta Santa Maria, Média Santa Maria, Baixa Santa Maria, Taquara.

 

Altes Pfarrenhaus Ruinen des Hauses, in dem der Pseudo- Pastor Christoph Schäfer wohnte

Eine Gemeinde kann nur wachsen, wenn Gott im Mittelpunkt steht. Wenn man Ihn vergisst, rücken die menschlichen Interessen an die erste Stelle. Dann entstehen Neid und Streit und es kommt deshalb zu Unordnung und großem Durcheinander. Genau das war damals in unseren Kirchengemeinden geschehen. Uneinigkeit, Neid und Intrigen hatten die Bildung zweier Parteien unter den evangelischen Christen zur Folge. Eine Gruppe von vierzig Familien wollte einen Pfarrer aus Deutschland haben. Die andere Gruppe setzte auf einen früheren Schneider aus dem Hunsrück (Christoph Schäfer, der in Alta Santa Maria wohnte) und wählte diesen (pág. 332) zu ihrem Pfarrer. Die erste Partei konnte sich durchsetzen, aber der Pfarrer, der kam, war scheinbar nicht der von Gott gewollte Pastor. Der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin hatte den Pfarramtskandidaten Robert Kröhne entsandt. Dieser wurde am 10. Mai 1868 von Pastor Borchardt ordiniert und in der Koloniegemeinde eingesetzt, wo er bis 1871 geblieben war. Dann hatte er nach Curitiba gewechselt. Nur zwei Jahre war er in der Gemeinde gewesen, aber es war lang genug, um die Uneinigkeit und die Streitigkeiten zu vertiefen. Wie hätten auch Einigkeit und Gemeinschaft entstehen sollen, wenn niemand bereit war, sich an Gott zu wenden und seine Vergebung zu suchen? Nachdem der Pastor weg war, meinten die von der anderen Gruppe:

- ‘Ist unser Schneider nicht doch besser als euer deutscher Pfarrer?’

Am 16. Dezember 1871, nachdem eine kleine Gruppe in der Gemeinde lange und schmerzlich darauf gewartet hatte, traf der neue Pfarrer ein. Er war jung, ungefähr 25 Jahre alt, und hatte einen Wunsch: dem Herrn zu dienen. Seine erste Predigt ging von dem Wort des Apostels Paulus (2.Kor.5,20) aus: “So sind wir nun Botschafter an Christi St