(pág. 324)
Persönlichkeiten
von Santa Maria do Mundo Novo
Pastor Roos und Christoph Schäfer
Karl Friedrich Roos |
Christoph Schäfer |
Der Anfang der Besiedlung von Santa Maria do Mundo
Novo war von einer Zeit großer Schwierigkeiten geprägt. Die Einwanderer aus
Deutschland, von ihren Angehörigen weit entfernt, hatten ihre Not mit der
Sprache vor Ort, mit dem Urwald und mit den schlechten Strassenverbindungen.
Dazu kam die ständige Angst vor
Überfällen von Indianern oder wilden Tieren. Weit weg von jeder ärztlichen
Hilfe in ihren Krankheitssorgen und gänzlich isoliert von jeglicher
menschlichen Kultur suchten sie in ihrem Glauben die Kraft für den Alltag und
für den Kampf gegen alle und gegen alles. In ihrem Schmerz wandten sie sich an Gott
mit der Bitte um Heilung. So kam den Kirchengemeinden in den jungen deutschen
Siedlungen eine grundlegende Bedeutung zu, denn in ihnen entstand von Anfang an
die Gemeinschaft, die die Einwanderer ein gemeinsames Ziel erkennen liess, was
zur Entwicklung blühender Städte führte, die sich noch bis heute im südlichsten
Bundesstaat Brasiliens auszeichnen.
Hat somit die Religion einerseits zur
Einigung der Bevölkerung beigetragen, so machte andererseits jedoch die
Vielfalt des Denkens und Verstehens der religiösen Fragen die Religion auch zum
Anlass von Uneinigkeiten. Als Pastor Karl Friedrich Roos am 16. Dezember 1871
eintraf, um in dem dortigen Gebiet Pastor zu sein, fand er die Kirchengemeinde von
Santa Maria do Mundo Novo in zwei gänzlich zerstrittenen Parteien vor. Auf der einen
Seite stand Christoph Schäfer, ein Schneider, der in Alta Santa Maria wohnte,
der aber auch das Zeug zum Lehrer und Verfasser von Büchern hatte. Ihn hatten
die Kolonisten selbst für die kirchlichen Amtshandlungen gewählt. Seine oft
drastischen Worte sorgten jedoch oft für Uneinigkeiten, was letztendlich zur
Spaltung der Gemeinde geführt hatte. Die Kirchenleitung machte sich Sorgen und
hatte zunächst Pastor Robert Kröhne nach Santa Maria do Mundo Novo gesandt. Dort
wirkte dieser von 1868 bis 1871, aber er erreichte keine Einigung. Pastor Roos
traf also 1871 eine Gemeinde an, die von Unruhe, Streit und Misstrauen zerrissen
war. Zunächst fand er Aufnahme bei Ferdinand Volkart in Alta Santa Maria, wo er
blieb, bis die Gemeinde ihn als Pastor akzeptierte. Dann konnte er ins
Pfarrhaus nach Alta Santa Maria umziehen, das in der heutigen Rua da
Independência neben der Hausnummer 2070 in der Nähe der Kichler-Mühle stand. Da
Pastor Roos anfangs (pág. 326) noch
nicht einmal das Kirchengebäude benutzen durfte, das bereits in Média Santa
Maria erbaut worden war, hielt er bis 1872 die Gottesdienste im Haus von
Philipp Dreher. Dann aber fand er zunehmend Anerkennung in der Gemeinde, so
dass ihm das Kirchengebäude alle drei Wochen für seine Dienste geöffnet wurde.
Damit konnte die Wiedervereinigung der zerstrittenen
Gemeinde beginnen. Pastor Roos strahlte eine persönliche Sympathie aus, die
eine starke Glaubensbewegung in der Kolonie auslöste. Sein Tätigkeitsbereich
erstreckte sich von Alta, über Média und Baixa Santa Maria bis hin nach
Taquara. Er gewann die Gemeindeglieder auch durch den Einsatz seiner
medizinischen Kenntnisse. In einem Brief vom 15.Juni 1872 schrieb er: Ich
bin nicht nur Pastor, sondern auch Arzt (der nächste ausgebildete Arzt ist 10
Reisestunden entfernt), dazu noch Schulinspektor, Geldsammler für den Bau der
neuen Kirche (wobei er sich auf den Bau der Kirche in Taquara bezieht, deren
Grundstein er am 30. Juni 1872 gelegt hatte, denn damals war die Kirche in
Santa Maria do Mundo Novo, dem heutigen Igrejinha, die einzige Kirche der
Gegend) und muss zusätzlich viel Zeit im Sattel verbringen. Mit den
Bemühungen um die Wiedervereinigung verschwanden die Zwistigkeiten in der
Gemeinde und zu den Gottesdiensten füllte sich zusehends die Kirche, so dass am
Pfingstgottesdienst 1872 über 500 Leute zum Abendmahl kamen. Ausserdem traten
an dem Tag vier Katholiken in die evangelische Kirche ein.
Das Grab des
Pfarrers Roos bewahrt die letzte Ehrung durch seine Getreuen: Hier ruht in
Frieden Karl Friedrich Roos aus Herborn (Nassau), Pfarrer in Mundo Novo;
geboren am 26. Juni 1843 und gestorben am 18. März 1873. Selig sind die
Todten, die im Herrn Sterben. Apokalypse 13 14. Aus Dankbarkeit gewidmet
von der gemeinde. |
Alte Evangelische
Kirche von Três Coroas. Im Hintergrund der Friedhof, auf dem Pastor Roos
beerdigt ist |
Noch heute, nachdem mehr als ein
Jahrhundert vergangen ist, steht Pastor Roos hoch in dankbaren Ehren. Im Jahr
1980 hat der heute in São Leopoldo ansässige Dr. Martin N.Dreher, als er Pastor
in Taquara war, die Geschichte des Pastor Roos romanartig aufgeschrieben und
sie im Verlag Editora Sinodal veröffentlicht. Diese Geschichte geben wir im
Folgenden wieder, denn sie gibt Aufschluss über das Leben dieses Pfarrers, der
unter härtesten Arbeitsbedingungen sich nicht von den Grenzen, die ihm
auferlegt waren, zurückhalten liess, die Wege zu gehen, die der Herr ihm
vorgab. Auch wenn diese Abschnitte sich durch einen äusserst religiösen Inhalt
auszeichnen, bringen wir sie ungekürzt, denn es war schliesslich diese
Frömmigkeit, die eine ganze Gemeinde sich um gemeinsame Ideale sammeln liess,
was zum Aufbau der damaligen Kolonie führte, die sich inzwischen in grosse Städte
entwickelt hat, in denen wir heute mit unseren Familien unser Zuhause gefunden
haben.
Ehre dem Pastor Karl Friedrich Roos.
Die Wege des Herrn
In jener Nacht
schien selbst der Mond zu weinen. Er verbarg sich von Zeit zu Zeit hinter den Wolken
wie hinter einem Vorhang. Unten ruderten rauhe Bauernhände kräftig, aber in
tiefem Schweigen. Ab und zu unterbrach ein leiser Seufzer die Stille, in der
nur das Plätschern der Ruder und des Wassers zu vernehmen war.
Keiner von beiden
war zum Erzählen von Geschichten aufgelegt, wie sie es unter anderen Umständen bestimmt
getan hätten. Nur ab und zu kamen ihnen über die zusammengepressten Lippen ein
paar schmerzliche Worte, die sich im Dunkel und Schweigen des Flusses verloren.
- Wie schade! Es
ist, als wäre er erst gestern zu uns gekommen. Und heute ist er tot.
- Ja, es ist
jammerschade. Ich kann es noch gar nicht begreifen. Es wird die Leute hart
treffen. Vielleicht haben sie es oben in der Kolonie schon erfahren.
Sanft gleitet der
Kahn flussaufwärts. Sie würden die ganze Nacht hindurch zu rudern haben. Von São
Leopoldo aus galt es, ein grosses Stück den Rio dos Sinos flussaufwärts zu
überwinden, um an den Rio Santa Maria zu kommen. Erst nach vielen Stunden würden
sie endlich in Média Santa Maria ankommen, wo der Pastor in der Kirche
aufgebahrt würde, um von dort zur Beisetzung auf den Friedhof von Alta Santa
Maria gebracht zu werden. So hatte er es sich gewünscht.
Der Trauerzug würde
bestimmt endlos sein. Die gesamte Kolonie würde still stehen. Sie würden alle kommen,
um sich von dem zu verabschieden, der zwar nur kurze Zeit ihr Pastor war, dem
es aber trotzdem gelungen war, ihre Herzen zu erobern.
Im Schweisse deines Angesichts
Es gab in jenem Jahr
1873 bereits viele Lichtungen im Urwald. Viel Wald war gerodet worden und es
gab unzählige Felder mit Mais, Kartoffeln, Bohnen, Maniok und anderen
Nutzpflanzen auf beiden Seiten entlang der Straßen. Wer dort durchkam, konnte
überall reiche und vielversprechende Ernten ahnen. Alles sah jetzt leichter aus.
Wohlstand meldete sich an. Man musste nur einen Blick in die Schweineställe
werfen und die Pracht dort sehen.
Wie schwer war es
dagegen damals gewesen, als 1846 die Pioniere angekommen waren. Einige waren
von der Kolonie São Leopoldo gekommen. Es waren Kinder jener Bauern und Handwerker,
die in den Jahren 1824 und 1825 aus dem fernen Europa eingewandert waren. Zu
ihnen stiessen neue Siedler, die erst jetzt aus Europa einwanderten. Nach der
Farrapos-Revolution, die während der zehn Jahre, die sie andauerte, so viele
Leben gekostet hatte, waren sie die ersten, die den Mut wieder fanden, in die Provinz
São Pedro zu kommen. Damals, im Jahr 1846, hatte José Tristão Monteiro
beschlossen, seine Ländereien aufzuteilen und in Kolonien zu verkaufen. Die
ersten Parzellen kosteten 300 Milréis. Jetzt, 1873, kosteten sie bereits 4000
Milréis. Nachdem Monteiro den Anfang gemacht hatte, teilten weitere ihre Farmen
in Parzellen, so dass schliesslich die Gesamtkolonie Santa Maria do Mundo Novo
entstand.
Die ersten Hütten
bestanden aus einem mit Lehm beworfenen Gerüst aus Buschwerk. Das Dach wurde
mit Palmblättern gedeckt, die es reichlich und überall gab. Kaum war so ihr
Haus fertig, nahmen die Siedler auch schon die Axt und begannen mit der Rodung.
Vor allem wurden Lebensmittel gebraucht. Mit dem Kleinkind im Körbchen gingen
alle an die Arbeit, Männer, Frauen (pág. 330) und Kinder, um dem Land
die Frucht abzutrotzen, die Gott verheissen hatte. Und diese Frucht wurde ihnen
nicht leicht geschenkt.
Eines Tages, es war
an einem Sonntag, nahm der Grossvater die Bibel und las daraus die Worte: Im
Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde
wirst, von der du genommen bist.
Was Schweiss
bedeutete, das wussten sie damals. Es rann so viel Schweiss, dass der
Schwiegersohn Schmidt entrüstet klagte:
- Warum müssen wir
derart schwitzen? Warum straft Gott uns so hart? Warum
?
Und er brachte all
die Fälle, die in den letzten Tagen in der nächsten Umgebung sich ereignet hatten:
- Der Fenner wurde
vom Baum erschlagen und ließ die Frau mit den Kindern alleine zurück. Das
hübsche kleine Mädchen, das Gott den Kirsch vor drei Jahren geschenkt hat,
wurde von einer Schlange gebissen und nun sind die Eltern allein in ihrer
Trauer.
Der Grossvater
antwortete nicht gleich. Er hatte keine fertigen Rezepte. Wie alle musste auch er
nachdenken. Dann ergriff er wieder das Wort:
- Gott schenkt uns
alles und wir antworten immer wieder mit Ungehorsam. Wenn er ein richtender Gott
wäre, könnte niemand vor ihm bestehen. Aber noch lässt er uns schwitzen. Ich
glaube, der Schweiss ist ein Zeichen der Liebe Gottes.
So sah die
Sonntagsandacht in Grossvaters Haus aus. Der Schwiegersohn war nicht zufrieden damit.
Einige gingen ihren Gedanken nach. Andere gingen froh nach Hause - Gott hatte
mit ihnen geredet. Bei wieder anderen waren das Leiden und der Schmerz grösser.
Parteien in der Gemeinde
Mit der Zeit
bildeten sich Gemeinden. Immer hing das mit einer Taufe zusammen. Da war bei
einem Kolonisten ein Kind geboren. Er hatte Pastor Haesbert aus Alt-Hamburg
eingeladen, die Taufe in seiner Wohnung zu halten. Haesbert war gekommen und
hatte sich nach dem Gottesdienst mit denen, die gekommen waren, versammelt. Er hatte
ihnen Mut gemacht und daraufhin hatten sie beschlossen, eine evangelische
Gemeinde zu gründen. So wie in diesem Fall entstanden auch andere Gemeinden:
Alta Santa Maria, Média Santa Maria, Baixa Santa Maria, Taquara.
Altes Pfarrenhaus Ruinen des Hauses, in dem der Pseudo- Pastor Christoph
Schäfer wohnte |
Eine Gemeinde kann
nur wachsen, wenn Gott im Mittelpunkt steht. Wenn man Ihn vergisst, rücken die
menschlichen Interessen an die erste Stelle. Dann entstehen Neid und Streit und
es kommt deshalb zu Unordnung und großem Durcheinander. Genau das war damals in
unseren Kirchengemeinden geschehen. Uneinigkeit, Neid und Intrigen hatten die
Bildung zweier Parteien unter den evangelischen Christen zur Folge. Eine Gruppe
von vierzig Familien wollte einen Pfarrer aus Deutschland haben. Die andere
Gruppe setzte auf einen früheren Schneider aus dem Hunsrück (Christoph Schäfer,
der in Alta Santa Maria wohnte) und wählte diesen (pág.
332) zu ihrem Pfarrer. Die erste Partei konnte sich durchsetzen, aber
der Pfarrer, der kam, war scheinbar nicht der von Gott gewollte Pastor. Der
Evangelische Oberkirchenrat in Berlin hatte den Pfarramtskandidaten Robert
Kröhne entsandt. Dieser wurde am 10. Mai 1868 von Pastor Borchardt ordiniert
und in der Koloniegemeinde eingesetzt, wo er bis 1871 geblieben war. Dann hatte
er nach Curitiba gewechselt. Nur zwei Jahre war er in der Gemeinde gewesen,
aber es war lang genug, um die Uneinigkeit und die Streitigkeiten zu vertiefen.
Wie hätten auch Einigkeit und Gemeinschaft entstehen sollen, wenn niemand
bereit war, sich an Gott zu wenden und seine Vergebung zu suchen? Nachdem der
Pastor weg war, meinten die von der anderen Gruppe:
- Ist unser
Schneider nicht doch besser als euer deutscher Pfarrer?
Am 16. Dezember 1871, nachdem eine kleine Gruppe in der Gemeinde lange und schmerzlich darauf gewartet hatte, traf der neue Pfarrer ein. Er war jung, ungefähr 25 Jahre alt, und hatte einen Wunsch: dem Herrn zu dienen. Seine erste Predigt ging von dem Wort des Apostels Paulus (2.Kor.5,20) aus: So sind wir nun Botschafter an Christi St