Die Anwerbung von Kolonisten in der Heimat
Dreihundert Jahre nach der Entdeckung war die portugiesische Kolonie Brasilien fast nur von Einwanderern aus Portugal und von afrikanischen Schwarzen, die als Sklaven verkauft worden waren, bewohnt.
Das änderte sich ab 1815, als der König von Portugal, Dom João VI, der Invasion durch die Truppen Napoleons auswich und seinen Hofstaat nach Rio de Janeiro verlegte. Als erstes öffnete er die brasilianischen Häfen den anderen Ländern, womit eine brasilianische wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung einsetzte, die aus der portugiesischen Kolonie Brasilien den Sitz des Vereinigten Reiches Portugals werden liess.
Um eine Entwicklung zu ermöglichen, besonders hinsichtlich der Landwirtschaft und der Industrie, wurden Arbeitskräfte gebraucht, die hauptsächlich aus europäischen Ländern kommen sollten, um die Initiativen der portugiesischen Krone fortzusetzen.
Im Jahr 1817 heiratete der Kronprinz von Portugal, der spätere Dom Pedro I, mit der Erzherzogin Leopoldine, einer Tochter des Kaisers von Österreich. Als Dom João VI dann wieder nach Portugal zurückkehrte, liess er seinen Sohn als Prinzregenten zurück. Als solcher begann dieser mit der Besiedlung der Kolonie Brasilien und öffnete das Land für europäische Einwanderer. Für dieses Programm wurde eine Verwaltungsinstanz, Inspetoria da Colonização, eingerichtet unter der Leitung von Monsenhor Miranda. Die ersten, die die portugiesische Krone auserwählt hatte, um den Fortschritt der Kolonie voranzutreiben, waren Deutsche, was wahrscheinlich auf den Einfluss der späteren Kaiserin Leopoldine zurückzuführen ist, in deren Adern ebenfalls deutsches Blut floss.
Die Entwicklung ging weiter. Am 7. September 1822 rief der Prinzregent Pedro die Unabhängigkeit Brasiliens aus und trennte somit die Kolonie von Portugal, in der er selbst den Thron bestieg. Damit setzt eine neue Entwicklungperiode für das Land ein.
Das Besiedlungsprojekt lief weiter und es (pag. 62) wurde das Gebiet der Provinz Rio Grande do Sul für die Ansiedlung der deutschen Familien bestimmt, weil dort das Klima gesünder für Europäer ist und die landwirtschaftliche Nutzfläche dem Boden, den sie gewohnt waren, ähnlicher ist. Dazu kam, dass es im Umfeld von Porto Alegre große Urwaldgebiete gab, die durch Rodungen bearbeitet und bewohnt werden konnten.
So ergaben sich, was den heutigen Bundesstaat Rio Grande do Sul betrifft, drei grosse Einwanderungswellen:
Von 1824 bis 1870 - Die deutsche Einwanderung
Von 1871 bis 1889 - Die italienische Einwanderung
Von 1890 bis 1935 - Einwanderung aus verschiedenen europäischen Ländern.
In Brasilien waren neben Kaiser Dom Pedro I in Rio de Janeiro José Feliciano Fernandes Pinheiro (der Visconde de São Leopoldo) als erster Gouverneur von Rio Grande do Sul und José Thomaz de Lima als Verwalter der Königlichen Hanfsack-leinen-Faktorei bei São Leopoldo für die Einwanderungsfragen zuständig. In Deutschland wurde die Auswanderungswelle von Major Anton Schäfer verantwortet, der bereits Jahre zuvor anlässlich einer Weltreise Brasilien kennengelernt hatte. Später war er nach Brasilien zurückgekehrt und hat dort für die brasilianische Krone gearbeitet bis ihn die Prinzessin Leopoldine in ihre persönlichen Dienste berief.
Die Herkunft unserer Vorfahren
Die Auswanderung unserer Vorfahren war nichts aussergewöhnliches in der deutschen Geschichte. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts überschritten viele Deutsche aus den nicht industrialisierten Gebieten die Grenzen und emigrierten zunächst in die USA und später in das untere Donaugebiet bis hin in die weiten Steppengebiete Russlands. Als daher der Major Schäfer als Werber für die Auswanderung nach Brasilien auftrat und dieses neue Land als das Paradies auf Erden anpries, meinten die auswanderungsbereiten Deutschen, die von eigenem Grund und Boden träumten, dass sich ihnen damit neue Horizonte öffnen würden.
Die Auswanderungswelle der Jahre 1816 und 1817 aus dem Südwesten Deutschlands berührte auch die Pfalz und den Hunsrück, das damalige Birkenfelder Land und heutigen Kreis Birkenfeld, die damals zum Grossherzogtum Oldenburg in Norddeutschland gehörten. Aber das Auswanderungsfieber ging zu der Zeit nicht über die Flüsse Mosel und Rhein. Erst in den zwanziger Jahren, als Major Schäfer seine Werbeaktivitäten ausweitete, ging die Auswanderungswelle über die eigentliche Pfalz und den Hunsrück, dem Viereck, das von den Flüssen Rhein, Mosel, Saar und Nahe gebildet wird, hinaus und wurde zu einer richtigen Lawine. Hunsrück und Pfalz wurden das Gebiet Deutschlands, das mehr Auswanderer als andere Gegenden nach Rio Grande do Sul entlassen hat, weshalb bis heute das Deutsch, das gewöhnlich im Gebiet der Kolonien im Inland noch gesprochen wird, dem sehr ähnlich ist, das im Birkenfelder Land zu Hause ist.
Die meisten Überseeschiffe gingen von Hamburg aus die Elbe hinab, während andere den Rhein hinabfuhren und von Amsterdam aus in See stachen. Die Deutschen hatten bereits die ersten Schwierigkeiten zu überwinden, bevor sie die Seehäfen erreichten. Es waren lange Überlandreisen, bei denen sie ihr Hab und Gut mitnahmen.
Vor 1870 gab es noch keine deutsche Nation als solche. Es gab einige Dutzend kleinere (pag 64) Königreiche, Grafschaften, Fürstentümer, Regentschaften, Herzogtümer, Grossherzogtümer und Markgrafschaften mit deutscher Kultur und Sprache. Alle Einwohner galten als Deutsche und der Begriff Deutschland bezog sich auf die Ortschaften dieser Kultur. Immer wieder gab es Bewegungen, die die deutschen Gebiete zu vereinigen suchten, was viele Kriege zur Folge hatte, denn es widersprach den Interessen der Herren dieser kleinen Länder und besonders Frankreichs. Die Königshäuser der Grossreiche (Preussen, Österreich und Bayern) wollten die Vereinigung unter ihrer jeweiligen Führung und bekriegten sich deshalb gegenseitig. Die Schweiz, die bereits hunderte Jahre vorher ihre Einigung durch die Initiative ihrer Bürger erreicht hatte, um nicht unter die Herrschaft der vielen Herren zu geraten, die sich ständig bekriegten, um ihr Territotium zu erweitern, wollte, obwohl sie grossenteils deutsch war, ihre Integrität und Einheit beibehalten. Frankreich hatte unter Napoleon ein grossen Teil Deutschlands besetzt. Das letzte Gebiet, das zurückerobert wurde, waren die Pfalz und der Hunsrück, woher die Mehrheit der Einwanderer Rio Grande do Suls kamen. Diese Zurückeroberung, der Befreiunngskrieg von 1807 bis 1813, wurde von den reicheren Mächten, die Frankreich fern standen, finanziert, wofür aber die früheren ortsansässigen Herren den Königen und Fürsten, die sie finanziert hatten, untertan wurden. So fiel fast der gesamte Hunsrück an Preussen mit Ausnahme des Birkenfelder Landes, das dem Grossherzogtum Oldenburg untertan wurde. Die Pfalz fiel grossenteils an Bayern mit Ausnahme eines grossen Gebietes um die Stadt Mainz. Rheinhessen kam ins Herzogtum Hessen und das Fürstentum Lichtenberg ins Herzogtum Sachsen-Coburg. Vorübergehend wurde dadurch das gesamte Gebiet verwüstet und Armut breitete sich aus. Das wurde Anlass zur Auswanderung vieler Familien. Am Ende blieb Preussen siegreich, aber es reichte nicht aus, um Österreich, den deutschen Teil der Schweiz und die Teile Deutschlands einzunehmen, die unter Frankreichs Herrschaft waren. Luxemburg, ein deutsches Fürstentum mit französischem Adelshaus, wurde zum französischen Protektorat und konnte sich unabhängig halten. Frankreich hielt seit 1600 zwei deutsche Gebiete unter der Herrschaft französischer Grafen: Elsass und Lothringen. In den Grenzgebieten lag ein dicht bewohntes Gebiet, in dem die Dörfer teils der einen teils der anderen Kultur angehörten, was Anlass zu vielen Reibereien um die Festlegung der Grenzen wurde. Deutschland weitete sich sehr in Richtung Russland aus aufgrund der preussischen Militärakademie, die Soldaten ausbildete. So eroberte und besiedelte Preussen neue Gebiete und kontrollierte sie politisch. Das Expansionsgebiet an der baltischen Küste im Norden wurde zu Ost-Preußen, das sich bis Litauen erstreckte mit Königsberg als Hauptstadt, dem heutigen Kaliningrad, das unter russischer Herrschaft steht. Dieses gesamte Expansionsgebiet mitsamt den Grenzdörfern ging im Zweiten Weltkrieg verloren.
Es gab viele Ortschaften mit dem selben Namen in den verschiedenen Gebieten. Daher verband man den Namen mit der nächstliegenden grösseren Stadt oder dem Gebiet, in dem sie lagen. Viele kleinere Ortschaften wuchsen zusammen oder wurden aus verwaltungspolitischen Gründen miteinander verschmolzen und behielten die früheren Namen mit Bindestrich wie Idar-Oberstein und Fohren-Linden. Einige wenige Ortschaften verschwanden, andere wurden in andere Länder integriert, wobei ihre Namen derart entstellt wurden, dass sie nicht mehr zu erkennen sind.
Die Propaganda für die Auswanderung
Im Jahr 1822, dem Jahr der Unabhängigkeit Brasiliens, wurde Major Anton Schäfer nach Europa entsandt, um im Auftrag seiner Regierung in den Städten Hamburg und Frankfurt eine Werbeaktion für die Auswanderung in die Neue Welt zu initiieren.
Schäfers Aufgabe in Deutschland war nicht nur, Kolonisten anzuwerben, sondern auch Soldaten für eine 1823 eingerichtete Fremdenlegion, die als Miliz der weissen Sklaven in die Geschichte einging, und für die es ihm gelang, 1838 Legionäre zu rekrutieren.
Aber es gelang ihm auch, ausser diesen Soldaten ganze deutsche Familien anzuwerben, die bereit waren, die Schwierigkeiten in der Neuen Welt auf sich zu nehmen. Die brasilianische kaiserliche Krone verbreitete durch Anton Schäfer ein Traumbild, um die Deutschen zu überreden, und bot ihnen äusserst günstige Bedingungen an: Sie würden auf Kosten der brasilianischen Regierung reisen, würden sofort naturalisiert, erhielten Land als freies Eigentum (160.000 Quadrat- Klafter bzw. 77 Hektar) pro Familie. (pag. 66) Dazu Pferde, Kühe, Ochsen und einen finanziellen Zuschuss in Höhe von einem Franken pro Person während des ersten Jahres und fünfzig Pfennige während des zweiten Jahres, Steuerbefreiung für zehn Jahre und Freiheit zur Ausübung ihres Glaubens. Als einzige Bedingung wurde ihnen auferlegt, dass sie ihre Ländereien innerhalb von zehn Jahren nicht veräussern durften.
So kam es, dass am 18. Juli 1824 das Schiff Anna Luise festlich in Porto Alegre empfangen wurde, nachdem es am 24.03.1824 in Hamburg unter Kapitän Johann Heinrich Knaack mit den ersten deutschen Auswanderern in See gestochen war. Am 25. Juli 1824 gingen dann die ersten 39 Deutschen in São Leopoldo an Land und begannen mit der Besiedlung dieses Tales. Ihnen folgte am 26. November eine weitere Gruppe von 81 Personen. Von diesen Leuten, mit denen die deutsche Kolonie in Rio Grande do Sul ihren Anfang nahm, waren 18 Bauern und 21 übten andere Berufe aus.
Laut der Aufzeichnungen, die Dr. Johann Daniel Hillebrand, der erste Arzt von Rio Grande do Sul und spätere Direktor der Kolonie São Leopoldo bezüglich der Kolonisten, die in dieses Gebiet gekommen waren, gemacht hat, waren es folgende Familien mit entsprechender Glaubenszugehörigkeit, die diese erste Gruppe ausmachten und als Gründer der deutschen Kolonie São Leopoldo gelten:
Michel Krämer , 2 Personen, katholisch |
Johannes Friedrich Höpper, 5 Personen, evangelisch |
Paul Hamel, 4 Personen, katholisch |
Johannes Heinrich Otto Pfingst, 7 Personen, evangelisch |
Johannes Christiani Rust, 3 Personen, evangelisch |
Heinrich Timm, 7 Personen, evangelisch |
August Timm, 4 Personen, evangelisch |
Caspar Heinrich Bentzen, 1 Personen, evangelisch |
Friedrich Eckerd Gross, 2 Personen, evangelisch |
Johannes Heinrich Jaacks, 4 Personen, evangelisch. |
Insgesamt 39 Personen, von denen 33 evangelisch und 6 katholisch waren. |
Bezüglich der vorteilhaften Bedingungen, die den Auswanderern angeboten worden waren und zu denen die freie Glaubensausübung gehörte, galt der Artikel 5 der Kaiserlichen Verfassung vom 24.03.1824: Die römische katholisch-apostolische Religion gilt weiterhin als die Religion des Kaiserreiches. Alle anderen Religionen werden geduldet mit Gottesdiensten in Wohnungen oder in dafür bestimmten Häusern, die äusserlich nicht als Tempel erkennbar sind, was als Verstoss gegen die Verfassung geahndet würde. Es gab also eine gewisse religiöse Toleranz den nicht katholischen Kulten gegenüber, aber das war weit entfernt von dem, was man Religionsfreiheit nennen könnte, wie sie bei der Anwerbung angepriesen wurde.
Es gab damals auch einen Siedlungsversuch in diesem Gebiet mit der Anwerbung von Sträflingen, Insassen der Gefängnisse von Hamburg (60 Personen) und Mecklenburg (321 Personen), wobei es in den Jahren 1824 und 1825 zu drei Deportationen solcher straffällig gewordenen Menschen kam, da man der Ansicht war, dass, wenn sie in ein neues Land kämen mit anderem Umfeld als dem, in dem sie straffällig geworden waren, sie, besonders auch durch Besitz von eigenem Grund und Boden, sich bessern und ein neues Leben beginnen würden. In der neuen Heimat sollten diese Leute alles bekommen, was sie brauchten, um sesshaft werden zu können, einschliesslich Bibeln und gute Ratschläge. Aber das Resultat war nicht wie erwünscht und die Geschichtte erzählt, dass der Gouverneur von Rio Grande do Sul, Feliciano Pinheiro, in einem amtlichen Schreiben an den Direktor der Inspetoria da Colonização, Monsenhor Miranda, sie als die Unmoralischsten bezeichnet. Die Folge davon war, dass der Direktor beschloss, nicht mehr seine Zustimmung zur Ansiedlung der Sträflinge in São Leopoldo zu geben, so dass versucht wurde, eine weitere Kolonie mit ihnen in der Gegend der Sieben Guarani-Missionen zu eröffnen, wohin die unerwünschten Sträflinge weitergeleitet wurden. Aber auch hier war das Resultat nicht wie erwünscht, was nicht nur auf den moralischen Wert dieser Leute zurückzuführen ist, sondern auch mit anderen Umständen zusammenhängt wie der hinausgezögerten Überführung von Porto Alegre an den Zielort mit den Entbehrungen auf der langen Reise und dem Kontakt zu Menschen, die mit ihrer Moral und ihren Worten ihnen ein Beispiel hätten sein können, durch das sie von ihrem früheren Weg hätten wegkommen können. So kamen nur einige wenige von ihnen am Zielort an und suchten auch dort einfachere Wege, um zurecht zu kommen.- pag. 68
KOENIGLICH PREUSSISCHE STAATEN N 443 des Pass Journals Siglement des Pass-Inhabers Religion: Evangelisch Alter: 34 Jahre Grösse: Füenf Fuss 2 Zoll Haare: braun Stirne: bedeckt Augenbrauen: braun Augen: blau Nase:gewöehnlich Mund: Bart: braun Kinn: breit Gesichtsfarbe: gesünd Gesicht: oval Statur: untersetzt Besondere Kennzeichen: Pockennarbig Unterschrift des Pass-Inhabers: Stempel und Gebühren: Stempel: |
REISE-PASS ins Ausland Gueltig auf 2 Jahre Da der Ackerer ADAM BRUSIUS gebuertig aus wohnhaft in HENNWEILER mit seiner Ehefrau MARIA EVA SCHMIDT 37 Jahre alt und seinen beiden Kindern JOH. FRIEDRICH 08 und GEORG 06 Jahre alt von Hennweiler nach Brasilien reist und durch ein Zeugnis seines Buergermeisters als unverdaechtig legitimirt ist, so ist denselben der gegenwaertige Pass erteilt, und werden alle Civil und Militaer-Behoerden geziement ersucht denselben mit angefuehrter Begleitung frei und ungehindert reisen und zurückreisen, auch noetigenfalls ihnen Schutz und Beistand angedeihen zu lassen. Dieser Pass muss aber von der Polizeiobrigkeit eines jeden Orts, an welchem der Inhaber sich laenger als Vier und zwanzig Stunden aufhaelt, ohne Unterschied zwischen Stadt und Dorf, visirt und ihr desshalb vorgezeigt werden. Gegeben: Coblenz, den 13.August 1837 Koenigliche Regierung Abteilung des Inneren |
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Die Verfrachtung auf den Seereisen
Verbreitete die Werbung während der Auswanderungszeit ein Bild des Paradieses auf Erden in Brasilien, so waren die Seereisen oft die reinste Hölle. Selbst wenn nichts Unvorhergesehenes geschah und auch keine Unbill durchstanden werden musste, waren die Reisen an sich schon für die meisten eine Folter, wenn man bedenkt, dass Major Schäfer, der die Schiffe angeheuert hatte, die Auswanderer darauf nicht menschenwürdig unterbrachte. Carlos Hunsche, der als Historiker die Ankunft jedes dieser Schiffe, die nach Brasilien kamen, erforscht hat, spricht von einer Verfrachtung der Leute auf die Schiffe, da ihnen dort nur 35 Zenti meter zur Verfügung standen, was den Vergleich mit der Ware, die auf Frachtern verschifft wurde, aufkommen liess. So war für mindestens neun Wochen, die für die Reise nach Brasilien benötigt wurde, der Reisende eingepfercht in engstem Raum von nur 35 Zentimetern Breite und 75 Zentimetern Länge bei grosser Sonnenhitze, ohne sich bewegen, geschweige denn lang ausstrecken zu können.
Um die Schwierigkeiten der Reisenden und um eine Vorstellung dessen zu vermitteln, was es damals bedeutete, 60 Tage und 60 Nächte auf der Unendlichkeit des Atlantiks und eingepfercht in dem kleinen Kasten zu segeln, zitieren wir die Instruktionen des Major Schäfer für die Passagiere des Seglers Friedrich, der von Bremen am 01.06.1826 in See stach und auf dem 300 Personen eingepfercht waren, unter ihnen Leutnant Mansfeldt, der in der Waterloo-Schlacht ausgezeichnet worden war. Als Erster Offizier des Transportes hat er in seinem Buch die umstrittenen Instruktionen niedergeschrieben mit folgendem Kommentar: Ich habe meine Pritsche belegt. Es war die beste des gesamten Schiffes; sie mass 70 Zentimeter in der Breite und war nur etwas länger als die übrigen. Ich habe auf ihr einen kleinen Schrank vorgefunden, in dem ich meine Bücher und meine Wäsche verstauen konnte.
Regeln für die Passagiere der Friedrich während der Überfahrt:
Artikel 1
Die Belegschaft von je zwei übereinanderliegenden Pritschen bildet eine Essgemeinschaft, in der einer verantwortlich für die Kontrolle und den täglichen Erhalt der Rationen ist, dem ausserdem zukommt, auf die Ordnung, die Sauberkeit und das pünktliche Einhalten der Anordnungen zu achten.
Artikel 2
Jeder Tisch (Back) erhält eine Nummer. Die Zuweisungen geschehen bei Vorlage dieser Nummer beim zweiten Steuermann. Die Nummern gelten auch für die Essensausgabe, damit alle erhalten, was ihnen zusteht. Jeder Tisch erhält so viele Löffel wie die Zahl der Personen jeder Belegschaft und dazu drei Becher, von denen einer aus Holz und die anderen aus Weisblech sind. Nach Beendigung der Reise muss alles vom Verantwortlichen der Belegschaft zurückgegeben werden.
Artikel 3
Um fünf Uhr morgens wird geweckt. Einer nach dem anderen kommen die Passagiere an Deck zur Morgenwäsche, wobei aber nie mehr als zwanzig Personen an Deck sein dürfen. Um sieben Uhr wird der Kaffee mit dem Frühstück verteilt. Mittagessen gibt es um zwölf Uhr und um sechs Uhr Abendessen. Reihum sind jeweils sechs Passagiere pro Tag für die Küche verantwortlich. Abends um acht Uhr werden die Wachen aufgestellt und alle haben sich zu ihrer Pritsche zu begeben, die während der Nacht nicht verlassen werden darf.
Artikel 4
Es ist ausdrücklich verboten, an Deck sich über den Bereich der Küche hinaus zu begeben.
Artikel 5
Die männlichen Passagiere haben ihre Notdurft dort zu verrichten, wohin die Besatzung geht, während für die Frauen und Kinder jeden Morgen an Deck dafür e