Das Abenteuer der Amerika-Reisen

Viele Familien sind aus Deutschland ausgewandertund haben auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen alles zurückgelassen und sich mutig in unbekannte und ferne Länder gewagt, ohne zu ahnen, was alles dabei auf sie zukommen könnte.

Die brasilianische kaiserliche Krone hatte ein Traumbild verbreitet, um die Deutschen anzulocken: das Angebot umfasste Bezahlung der Überfahrt,Gewährung von eigenem Grund und Boden, Versorgung, Arbeitsmaterial und Tiere, Befreiung von Steuern in den ersten Jahren, Glaubensfreiheit und das Recht auf die Staatsbürgerschaft. Damit legten sie die deutsche Staatsbürgerschaft ab und wurden Brasilianer. So zogen sie mit einer Mischung von Traumverwirklichung, Zukunftsvertrauen und Heimweh in eine neue Welt, um brasilianischen Boden zu bewohnen. Was sie dann aber vorfanden,war ein bergiges Land mit verschlossenem Urwald, ein tropisches Klima, das anders war als das, das sie kannten, eine ständige Angst vor Überfällen von Eingeborenen oder wilden Tieren und eine gänzlich fremde Sprache, die sich ihnen bereits schon auf hoher See in den Weg stellte. Dennoch war die Hoffnung auf bessere Tage stärker und liess ganze Familien, die fast immer von kleinen Kindern begleitet wurden, die leidvolle, weite und oft gefährliche Reise von Europa nach Amerika auf sich nehmen.

Die Schiffbrüchigen des Seglers “Cäcília”, von denen einige die ersten Siedler der “Baumschneis” wurden.

Im Blick darauf, dass die ersten deutschen Einwanderer, die sich in Santa Maria do Mundo Novo ansiedelten, grossenteils zuerst Siedler im Gebiet von Baumschneis (Dois Irmãos) waren, das wir deshalb eine Kornkammer unserer genealogischen Struktur nennen, wollen wir uns ein wenig der Geschichte dieser Leute zuwenden und deshalb in das Jahr 1827 zurückgehen in die Zeit der Härten auf den Reisen in die neue Heimat und von den Gefahren berichten, denen die Passagiere des holländischen Seglers “Cäcília” ausgesetzt waren, die Jahre später in der Gegend der Baumschneis ankamen.

Am 6. Januar 1827 war der Segler “Cäcília” von Bremerhafen aus in See gestochen. An Bord war eine grosse Schar von Einwanderern, etwa 300 Bauern, die aus der Gegend von Trier stammten und in Richtung Brasilien in die dortige Provinz Rio Grande do Sul reisten, wo sie sich als Kolonisten niederlassen wollten.

Nach sechs Tagen Fahrt wurden sie am 12. Januar mittags um 13.00 Uhr von einem gewaltigen Sturm überrascht, der 24 Stunden anhielt und dem Schiff grossen Schaden zufügte. Zweiundzwanzig Bauern und zwei Mitglieder der Besatzung ertranken. Die Masten der Cäcília hielten nicht stand und das Schiff wurde zum Wrack, denn ohne Masten und Segel trieb es herrenlos im Meer. Als endlich der Sturm nachgelassen hatte, erblickten die Schiffbrüchigen am äussersten Horizont (pag. 78) ein grosses englisches Schiff. Die Männer zogen ihre Jacken aus, die Frauen rissen die Kopftücher herunter und benutzten sie als Fahnen, die sie als Rufzeichen in der Luft schwenkten. Allen standen vor Erregung die Tränen in den Augen. Selbst die altgedienten Soldaten, die vor dem Donnern der Kanonen nicht gezittert hatten, weinten in diesem Moment gemeinsam mit den Frauen und drückten in unaussprechlicher Freude ihre Kinder an die Brust. Der Kapitän dieses Schiffes erkundete die Lage und nach einigen Stunden erreichten sie den Hafen von Falmouth im Süden Englands.

Dort in Falmouth verkaufte der Kapitän, der nach allem, was man weiss, ein sehr rücksichtsloser Mensch gewesen war, das beschädigte Schiff und verschwand mit der Kaution, die die Kolonisten hinterlegt hatten.

Johann Spindler, einer der Kolonisten an Bord des Cäcília, schrieb später, als er sich in England niedergelassen hatte, einen Brief an seine Angehörigen in Deutschland, in dem er in Einzelheiten die Schwierigkeiten schildert, die die Schiffbrüchigen durchmachen mussten.

Brief des Johann Spindler vom 07.03.1828:

“Lieber und sehr geehrter Bruder und Frau Schwägerin.

Am Wollen lag es nicht, dass ich Euch so lange auf Nachricht habe warten lassen. Wenn Ihr erfahren habt, in welcher Lage ich mich mit meiner Familie befand, werdet Ihr bestimmt Verständnis dafür haben. Ich hoffe, dass Euch diese meine Zeilen alle bei guter Gesundheit antreffen, was uns von ganzem Herzen freuen würde. Auch uns geht es gut und wir sind gottseidank gesund, nur unzufrieden mit unserem Schicksal.

Ihr werdet Euch daran erinnern, dass ich mit meiner Familie nach Bremen gereist bin. Dort verliessen wir unser Vaterland, um in Brasilien eine neue Heimat zu finden. Am 06. Januar (1827) stiessen wir mit guten Winden in See. Aber vor der holländischen Küste wurden wir von einem furchtbaren und schrecklichen Unwetter überrascht, das uns von 1.00 Uhr mittags des 12. Januar bis zum Mittag des 13. hin und her warf, bis wir einen aussergewöhnlichen Schiffbruch erlitten. In dieser Nacht verloren wir alle drei Masten. Zwei Seeleute gingen über Bord und über zwanzig unserer Kolonisten ertranken. Alle Pritschen wurden zerstört. Das Wasser drang ins Schiff, und wer nicht gleich nach oben kam, ertrank. Viele angstvolle und verzweifelte Seelen hofften mit uns auf eine Rettung. Als unser Unglück am grössten zu sein schien, wurden wir von einem anderen Schiff gesichtet, das unser kaputtes Wrack mitsamt den Überlebenden in den Hafen der Stadt Fallmuth (Falmouth) nach England abschleppte, wo wir uns noch immer befinden.

Der Kapitän hat ganz einfach das Schiff verkauft und ist mit dem Geld und mit unserer Kaution, die wir auf der Bank in Amsterdam hinterlegen mussten, verschwunden. So haben wir jetzt weder ein Schiff noch einen Kapitän und auch kein Geld.

In England hat man uns gut behandelt, aber es ist hier wenig Platz für uns und das Geld ist zuende. Noch wissen wir nicht, wie wir von hier wegkommen können. Mehrmals wurden wir von Agenten befragt, die uns nach Nordamerika bringen wollen, aber es hat zu nichts geführt. England will keine Leute nach Brasilien bringen. So haben wir jetzt die Hoffnung, nach Philadelphia auszuwandern, aber wann, weiss nur Gott.

Wir haben nur einen Wunsch, lieber Bruder: Lass mich durch einen Brief von Dir wissen, dass es Euch gut geht. Auch hätte ich gerne gewusst, was Du von dem hälst, was sich bei Euch ereignet.

Lieber Bruder, ich bitte dich, das, was wir mitgeteilt haben, Deinem Sohn weiterzusagen, der Pate unseres Christian ist. Dein Patenkind lässt Dich ganz herzlich grüssen. Falls Du mir schreiben willst, (pag 80) schicke den Brief über London nach Fallmuth zu Händen von William Reavel, ‘Robmaker in Fallmuth’, aber schreibe mit lateinischer Schrift. Viele herzliche Grüsse an alle.

(gez.) Johannes Spindler

Fallmuth (Falmouth) am 7. März 1828

P.S. Lieber Bruder, lies bitte diesen Brief unserer Schwester vor und lass sie erfahren, was wir auf dem Meer erlebt haben. Ihr Patenkind hat während des ganzen Unwetters geschlafen und nichts davon gemerkt. Es geht ihm gut, er ist gesund und lässt seine Patentante grüssen, wie es auch alle meine Kinder tun.”

In England fanden die deutschen Auswanderer leicht bezahlte Arbeit in diesem Land der Industrie und des Handels und erwarben sich Grundkenntnisse der englischen Sprache. Es wird erzählt, dass in der Zeit des Aufenthaltes in England eines Tages die deutschen Frauen im Stadtpark Wäsche wuschen, als der Kommandant der “Cäcília¨ sorglos dort spazieren ging und nicht merkte, dass jene Waschfrauen zu den Passagieren seines ehemaligen Seglers gehörten. Sie aber erkannten ihrerseits den Kommandanten, der das Schiff verkauft hatte und mit dem Geld und den Kautionen der Kolonisten getürmt war, sofort und dachten sich einen originellen Racheakt aus. Angeführt von der resoluten FrauBohnemberger gingen die Waschfrauen dazu über, den Kapitän mit der nassen Wäsche zu verdreschen, was bei den Engländern, die dieses Schauspiel mit ansahen, Gelächter hervorrief und spontanen Beifall bewirkte. Als Schicksalsgenossen hielten die ehemaligen Schiffbrüchigen in dieser fremden Hafenstadt fest zusammen und trafen sich sonntags, um sich in ihrer Muttersprache fliessend und fröhlich zu unterhalten.  Obwohl sie ihr Reiseziel nicht erreicht hatten, konnten sie doch sagen, dass es ihnen in den neuen Lebensumständen gut ging, und so nach und nach fanden sie sich mit ihrem Schicksal zurecht. Allerdings wurden die ehemaligen Schiffbrüchigen der Cäcília bald für die Stadt zu einem hinderlichen Problem. Denn ebenso wie die Kolonisten selber von dort weg wollten, warteten auch die Engländer dort auf den Tag, an dem die Deutschen endlich aus Falmouth verschwinden würden.

Aber bald geschah etwas, was sowohl den Kolonisten wie auch den Engländern zugute kam. Im Dezember 1828, als die ehemaligen Schiffbrüchigensich bereits mit dem Gedanken abfanden, in dem Land, in dem sie gestrandet waren, endgültig zu bleiben und englische Staatsbürger zu werden, legte das Schiff “James Laig” im Hafen von Falmouth an, das unter dem Kommando von Kapitän Sughure stand und die deutschen Einwanderer nach Brasilien bringen sollte, wie es aus einer Nachricht aus der “Royal Cornwall Gazette¨ eindeutig hervorgeht, die folgenden Wortlaut hatte:

“Nach Falmouth kam am letzten Donnerstag ein sehr elegantes Schiff mit dem Auftrag, die Deutschen, die nach Brasilien auswandern wollten und schon so lange Zeit hier am Ort wohnen, an Bord zu nehmen.”

Das Schiff “James Laig” war den deutschen Kolonisten von Felisberto Caldeira Brant, dem mächtigen Marques de Barbacena, zur Verfügung gestellt worden, einem damaligen brasilianischen Diplomaten, der deutscher Abstammung war. Er war am 24. September 1828 durch Falmouth gekommen, als er die neunjährige Königin Dona Maria II, die Tochter von Dom Pedro I, begleitete und hatte bei dieser Gelegenheit die traurige (pag 82) Lage wahrgenommen, in der sich die Gruppe Einwanderer befand, die Brasilien als Reiseziel hatte.

Somit starteten die Deutschen, die mit der Cäcília einmal ausgereist waren, am 3. Januar 1829 erneut in Richtung Brasilien und kamen am 19. Februar 1829 in Rio de Janeiro an. Bereits am 10. April 1829 fuhren 342 Passagiere auf dem Küstenschiff “Florinda” weiter in Richtung Porto Alegre, wo sie im Mai dieses Jahres ankamen. Sie wurden dann noch im Mai 1829 in São Leopoldo als Ankömmlinge registriert.

Viele Erzählungen wollen wissen, dass Amélia von Leuchtenberg, die damals zukünftige zweite Kaiserin Brasiliens, die Verantwortliche für die Bereitstellung des Schiffes gewesen sei, das die deutschen Einwanderer von Falmouth nach Brasilien gebracht hat, aber aufgrund von Angaben, die Henrique Handelmann in seinem Werk Die Geschichte Brasiliens macht, müssen wir feststellen, dass das nicht möglich war.

“Als die Tochter von Dom Pedro, die Königin Dona Maria II, nach einer sehr langen Fahrt über das Meer am 2. September 1828 in Gibraltar eintraf und der Leiter der königlichen Reisegesellschaft, Marquês de Barbacena, dort aus der Zeitung von der zweifelhaften Haltung Österreichs erfuhr, das Dom Miguel als Usurpator betrachtete, beschloss er, der Marquês, die junge Herrscherin statt nach Wien, nach London zu bringen und sie dort unter den Schutz der Krone Englands zu stellen. Er setzte seinen Beschluss in die Tat um und Dona Maria gingam 24. September in Falmouth an Land und wurde dort wie auch im Hofstaat des Hauses Windsor mit allen Ehren einer herrschenden Königin empfangen.”

Der Zustand der Einwanderer, welche in Falmouth aus der Cäcilia ausstiegen, beeindruckte den Marquês de Barbacena. Er entschloss sich, ihnen das Segelschiff James Laing zur Verfügung zu stellen. Dieses ist im Dezember 1828 in Falmouth angekommen.

Ein Jahr darauf, im September 1829 reiste der Marquês de Barbacena wieder als Begleiter von Dona Maria II nach Brasilien. Mit ihnen fuhr Amélia von Leuchtenberg, die Verlobte Dom Pedros I. Und wieder kamen sie nach Falmouth, ohne allerdings den Hafen anzulaufen. Handelmann berichtet:

“Denn er (Pedro I) hatte seine Tochter, die Königin Dona Maria II von Portugal, zurückkehren lassen. Angesichts der Haltung des Ministers Wellington sah er keinen Vorteil darin, sie weiterhin in London wohnen zu lassen. Und wieder sollte es der Marquês de Barbacena sein, der sie begleitete. Gleichzeitig war ihm der ehrenvolle Auftrag zuteil geworden, dem D. Pedro eine Verlobte zuzuführen, die junge und schöne Prinzessin Amélia von Leuchtenberg, Tochter des ehemaligen Vize-Königs von Italien, Eugênio de Beauharnais.”

Da Dona Maria II, Amélia von Leuchtenberg und der Marquês de Barbacena auf dieser Reise im Hafen von Falmouth nicht Station machten, ist es einfach unmöglich, dass die Verlobte Dom Pedros I, Amélia von Leuchtenberg,den ehemaligen Schiffbrüchigen der Cäcília ein Schiff zur Verfügung stellte.

Ein weiterer Irrtum in der mündlichen Überlieferung der Geschichte der deutschen Einwanderung ist die Erzählung, die Reisenden der Cäcília seien am 29. September in Brasilien angekommen. Dieser Tag, der Tag des Erzengels Michael, wurde deswegen sogar zu dem Tag bestimmt, an dem bis heute in Dois Irmãos (der Baumschneiss) die Michelskerb gefeiert wird. Aber laut den Regierungsberichten vom 18. März und vom 10. April 1829 und entsprechend dem, was wir bereits berichtet haben, sind die Kolonisten in Rio de Janeiro und in São Leopoldo im Februar beziehungsweise im März 1829 eingetroffen. Man könnte zwar erwägen, dass die Einwanderer, die an Bord der Cäcília waren, vier Monate in São Leopoldo Zwischenstation gemacht haben könnten, bevor sie in Baumschneiss siedeln konnten, aber ein wenig befremdlich wäre eine solche lange Wartezeit schon, um von der Stadt wegzukommen, da sie noch nicht angesiedelt waren.

Bleibt der Zweifel, ob es überhaupt bei den Schiffbrüchigen in der Lebensgefahr zu dem Gelöbnis gekommen ist, in Zukunft in jedem Jahrals Dank für ihre Rettung den Tag des Erzengels Michael (29. September) zu begehen, da das bis heute die Begründung für die Michelskerb ist, die jedes Jahr in Dois Irmãos an diesem Tag stattfindet. Bleibt ausserdem die Frage: Warum gerade der Tag des Heiligen Michael?

pag. 84

Betrachten wir einen Abschnitt aus dem zweiten Brief, den derselbe Johannes Spindler an seine Angehörigen am 23. Mai 1845 schrieb, als er bereits seit über siebzehn Jahren in Brasilien war, finden wir Angaben, die die Ankunft der ehemaligen Schiffbrüchigen der Cäcília in Porto Alegre im Mai 1829 bestätigen. Spindler schreibt vom Tod seiner Ehefrau und stellt klar, dass sie auf dem Küstenschiff “Florinda” gestorben ist, noch bevor sie in Porto Alegre ankamen.

“Betreffs meiner Person und meiner Familie möchte ich noch Folgendes anfügen: noch bevor ich und die Meinen das Schiff, das uns von Rio de Janeiro nach Porto Alegre brachte, verlassen hatten, war meine geliebte Ehefrau gestorben; sie wurde am Tag darauf, dem 16. Mai, in Porto Alegre beerdigt. Einige Tage später kam ich mit meinen Kindern an den Ort, an dem ich mich heute noch befinde. Ich habe nicht wieder geheiratet. Die verschiedensten Dinge, Gutes und Schlechtes, haben mein späteres Leben ausgefüllt, aber all das liegt zu weit zurück in meiner Erinnerung und es fällt mir schwer, es aus der Vergangenheit wieder zu rufen, besonders auch, da ich jetzt zufrieden bin mit dem, was der Himmel mir beschert hat.”

Viele Versionen rankeln sich um die Geschichte der deutschen Einwanderung in Rio Grande do Sul, besonders auch, was den Schiffbruch des Seglers Cäcília betrifft. Aber wir berufen uns auf die Forschungen in den Annalen des 6. Symposiums der Geschichte der deutschen Einwanderung und Kolonisierung in Rio Grande do Sul vom Jahr 1984 und konnten somit neue Behauptungen aufstellen, die durch minuziöse Untersuchungen gefunden wurden, was es uns erlaubt, eine Version zu bringen, die uns ein wenig näher an der Wirklichkeit zu sein scheint.

Von den hundert Familien, die in Rio Grande do Sul angekommen waren, haben etwa zwanzig sich dann in der “Baumschneiss” (Dois Irmãos) niedergelassen. Zu denen, die dort wohnen geblieben sind, gehören die Becker, Brurfel, Kielling, Marmitt, Sander, Schmidt, Schüler, Wille und Wingert. Die anderen Familien wurden in die übrigen Kolonien verstreut und heute finden wir ihre Nachkommen im gesamten Gebiet des Rio dos Sinos.

Jahre später, etwa im Jahr 1852, zogen einige dieser ersten Einwanderer von Dois Irmãos nach Santa Maria do Mundo Novo und wurden hier zu den Vorfahren der Bewohner dieses Tals.

Das Schicksal der Familie Volkart

Die Brüder Arnold, Ferdinand und Karl Volkart hatten sich 1852 in Hamburg auf dem Segelschiff „Luise Emilie“ eingeschifft, das an der englischen Küste Schiffbruch erlitt. Dabei starben 45 der 84 Passagiere. Die Brüder Volkart waren unter den Überlebenden und haben später ihren Wohnsitz in Taquara, Três Coroas und der dortigen Umgebung aufgebaut, wo noch heute Nachkommen von ihnen wohnen. Die Volkarts waren ursprünglich Schweizer. Einer von ihnen, Karl, hatte schon zehn Jahre in Brasilien im Bundesstaat Bahia gelebt. Dann war er nach Deutschland zurückgekehrt, wo er mit Babeli, der Tochter eines Missionars geheiratet hatte. Der Missionar war bei dem Schiffbruch unter den Toten und hatte seine letzte Ruhestätte im Meer gefunden.

Über die Schiffbruchreise hat Arnold Volkart einen Brief an seine Verwandten in Deutschland geschrieben, in dem er eindrucksvoll die Widerwärtigkeiten, Ängste, Sorgen und Gefahren einer Reise nach Brasilien schildert. Wer diesen Brief liest, erlebt die Ungewissheiten und die Schrecken in Einzelheiten mit, denen die Einwanderer ausgesetzt waren, bevor sie endlich in die neue Heimat kamen.

Das Haus des schweizer Einwanderers Arnold Volkart in Santa Cristina do Pinhal wurde im Jahr 1881 erbaut Teilansicht der Eingangstür des Wohnhauses von Arnold Volkart

 (pag. 86)

Der Brief hat folgenden Wortlaut:

“Lüdd, an der englischen Küste, den 31. Dezember 1852

Innigst geliebte Eltern, Geschwister, Verwandte und Bekannte.

Diesen Brief werdet Ihr wohl sehr unerwartet in Empfang nehmen, aber wehe, nicht Glück sondern Unglück hat uns genötigt, Euch diese paar Zeilen zu schreiben als Nachricht einer schrecklichen Szene. Villeicht habt Ihr, wenn Ihr neugierig gewesen seid, in den Zeitungen vernommen, dass diese vergangene Zeit mehrere Schiffe verunglückt sind, aber Ihr wusstet nicht, dass auch uns dieses Unglück getroffen hat.

Wie Ihr wisst, aus unseren letzten Briefen von Hamburg aus, hatten wir die Sache besser, oder ziemlich gut überstanden. Aber nein, es war dasGegenteil, denn immer, ja selbst als wir noch zu Hause waren-ging es uns als sollte es nicht sein, denn alles ging statt vorwärts konträr, welches wir nicht achteten als Vorboten dieses Unglücks.

Wie Ihr wisst, sind wir den 27. November auf das Schiff “Luise Emilie” gekommen und fuhren den 2. Dezember aus dem Hafen bis Glücksstadt, an der Elbe, wo wir bis den 7. Dezember auf guten Wind warteten. Von da ging es bis nach Cuxhafen, und wir mussten hier noch schlechten Windes wegen warten bis de 10. Dezember. Diesen Tag, also an einem Sonntage, war das Wetter schön hell, segelten wir in die Nordsee ab. Zwei Stunden lang waren wir noch immer in der Strömung der Elbe. Als wir aber wirklich in die Nordsee kamen, trat sogleich die Seekrank-heit ein welche ich Euch zu schildern keine Worte finde, wie es dem Menschen in diesem Augenblick ist. Nur so viel weiss ich, dass es genug gibt, die schon alle Lust nach Amerika zu reisen verloren haben und gerne wieder umkehren würden wenn sie könnten. Da weiss man sich nicht recht zu helfen, ist seiner gar nicht mehr Meister, man wird beinahe wie kindisch, so dass jedem alle Augenblicke zu sterben gleichgültig ist. Und dies dauerte bei einigen 3-4 Tage, auch eine Woche, ganz nach dem Wetter.

Und wir haben wirklich immer stürmisches Wetter und ungünstigen Wind gehabt, und glaubten eines Morgens, den 19. Dezember, um 4 Uhr das unsere letzte Stunde geschlagen hätte. Wir lagen alle ruhig im Bette und auf einmal kam eine grosse Welle daher und ist an unser Schiff gestossen, dass es mehrere aus den Betten auf den Boden warf, und die Kisten und Gerätschaften allesdurcheinander fiel. Und von oben durch die Luke kam in grosser Wasserstrom in den Zwischenraum. Wäre man nicht geschwind genug gewesen eineSeitenluke wegzuschlagen, um das Wasser wieder vom Schiff abfliessen zu lassen, so würdet Ihr von uns schwerlich einen Brief noch lesen. Auch an diesen nämlichen Tagen haben wir Segelstangen auf der Nordsee herumschwimmen sehen, wo ein Schiff untergegangen sein soll.

Da könnt Ihr begreifen, wie es uns zumute war, und doch hatten die Matrosen immer nur gelacht darüber und gesagt es werde noch anders zugehen, was wirklich nur zu wahr wurde. Wir mussten noch mehr erfahren. Der 22. Dezember war (pag 88) der schönste Tag den wir auf See gehabt hatten, welcher uns die Hoffnung machte besseren Wind und Wetter zu bekommen. Gegen diesen Abend gelangten wir in den Kanal zwischen England und Frankreich. Hier hatten wir noch die gefährlichste Stelle zu machen und zudem erhob sich konträrer Wind und immer mehr, sodass wir immer kreuz und quer, bald rückwärts, bald vorwärts kamen, bald sahen wir Land, bald nichts als Himmel und Wasser. So trieben uns die Wellen nach Willkür hin und her bis Weihnacht, den 26. Dezember, wo wir glaubten wir wären schon auf dem Atlantischen Ozean, bis wohin die Reise von Hamburg bei günstigem Wetter in 4 Tagen gehen soll. Anstatt 4 Tage waren wir schon 4 Wochen auf dem Schiff.

An diesem letzten Datum erhob sich gegen Abend und während der Nacht der Wind immer mehr und verwandelte sich gegen Morgen 6-7 Uhr zu einem der heftigsten Orkane. Wir alle lagen noch im Bett, denn da war einer der sichersten Orte, um nicht von einer Seite zur anderen geworfen oder von irgendeiner Kiste welche herumrollten, als wären sie Kugeln, zerquetscht zu werden wegen der Wellen, welche eine der anderen ganz walzenförmig folgte, dass man jeden Augenblick nicht wusste wenn das Schiff scheitern würde. Niemand durfte auf das Verdeck, indem man den Matrosen in den Weg gekommen wäre und wäre die Gefahr von den Wellen von dem Schiff weggeschwemmt zu werden. Auf einmal aber sass unser Schiff auf festem Boden, etwa eine Viertelstunde vor der englischen Küste, und jede Welle hob das Schiff und trug es bis etwa 20 Schritte an das feste Land.

Da sass das Schiff in dem Land und wurde wie ein Schilfrohr von den rasenden Wellen und vom Sturme hin und her geschla-gen, und dasWasser fiel stromweise vom Verdeck in den Zwischenraum, sodass man aber auf dem Verdeck so gut war wie im Bette selbst.

Unbeschreiblich war der Jammer und das Wehklagen. Die Schiffsleute veranstalteten sogleich Rettungsmittel, vorher liessen sie niemand aufdas Verdeck. Heinrich und Ferdinand waren aber schon seit 4 oder 5 Uhr auf dem Vordeck und wagten es nicht wieder herunter zu kommen, da sie jeden Augenblick das Letzte erwarteten. Endlich ruft mich Ferdinand herauf, denn ich lag immer im Bette und glaubte meinen letzten Augenblick hier zu haben. Sogleich stand ich auf in Hosen, Hemd und Schuhen und ging auf das Verdeck. Sogleich kam eine Welle, schlug mich zu Boden und ich wurde nass wie wenn ich schon aus dem Meere gezogen worden wäre. Die Schiffsleute waren eben mit der Rettungsarbeit beschäftigt 4und warfen Seile an Bord des Rettungsbootes, welche Engländer, die uns zur Hilfe gekommen waren auffingen um uns daran herauszuziehen. Die Leute wurden sogleich auf das Verdeck gerufen, aber alles war in Verwirrung und sie zauderten zu lange. Jeder glaubte das Schiff würde so stehen bleiben, und dann könne man, wenn sich der Sturm gelegt habe, mit trockenen Füssen an Land gehen. Niemand wollte sich in das schäumende Wasser wagen. Ein Mann hatte sich zuerst an das Seil binden lassen, wurde ins Wasser geworfen und kam glücklich ans Ufer.

Ein zweiter liess sich an einem Seil am Schiff hinunter und arbeitete sich so heraus. Ich war der dritte, liess mich am letzteren Seile hinunter und gelangte auch glücklich an Land. Da wollte ich helfen, Leute ans Ufer zu ziehen, die Engländer wiesen mich weg in ein nahes Haus um trockene Kleider anzuziehen, war